Wutausbrüche und Beschimpfungen wurden anlassbezogen produziert – auf Knopfdruck. Diese Methode entstammte dem Militär und passte exakt zur damals herrschenden männlichen Rolle des dominanten Durchsetzens, Herumkommandierens und Niedermachens. Mit der verbalen Peitsche wurden die als unwillig betrachteten Arbeiter zum Malochen angetrieben. Anders ginge es nicht, meinte man.
War jene Antreibermethode von den Exerzierplätzen der Kasernen gekommen, so stammt eine aktuell verbreitete Methode des Führens aus den Praxen der Therapeuten. Die Ideen Freuds und vieler anderer Psychotherapeuten wurden im 20. Jahrhundert zum allgemeinen Kulturgut.
Dieses Gedanken- und Sprachsystem bildet in vereinfachter Form einen universellen Psycho-Rasen, auf dem sich Eltern, Lehrer und Zeitschriftenredakteure tummeln.
Ebenso braucht kein moderner Manager mehr zu schimpfen – ein Augenbrauenhochziehen oder ein überfreundlicher Gruß in einer Situation des allgemeinen Arbeitsplatzabbaues reicht, um seinem 'mitarbeitenden' Gegenüber für eine Weile Magendrücken zu bereiten. Und den modernen Mitarbeiter dazu zu bringen, sich selber über alle Maßen anzutreiben. Um vielleicht nach Jahren im Burn out zu enden. Wen kümmerts?
Schneefall im März an der polnisch-slowakischen Grenze in der Hohen Tatra. In diesem, auf den ersten Blick trostlosen Bild verbirgt sich Hoffnungsvolles: die zweitausend Jahre alte Erfolgsgeschichte einer ursprünglich totalen Niederlage. Außerdem künden die warm-patzigen Schneeflocken vom baldigen Frühling.
Wie funktioniert die therapeutische Methode in ihrer vollen Gestalt? Sie besteht aus dem Bewusstmachen der relevanten Verhaltensweisen, Gedanken und Gefühle. Es geschieht in einem interaktiven Prozess zwischen Therapeut und Klient. Das Ziel ist, eine größere Autonomie, Flexibilität und sozial reifere Verhaltensweisen zu entwickeln, um letztendlich ein zufriedenstellendes Leben führen zu können.
Im Management wird eine abgemagerte therapeutische Methode angewandt: Gefühle sind tabu – sie werden ausgeklammert. Betriebe haben keine Gefühle, höchstens Bilanzen. Die Interessen des Unternehmens zählen und nur diese. Natürlich hat die Schwundmethode des therapeutischen Verfahrens für den Einzelnen langfristig gravierende Nachteile: man wird cool und distanziert zu anderen und unterdrückt gleichzeitig dein eigenen emotionalen Reichtum.
Δ
Für gegenwärtige Organisationen und Unternehmen jedoch ist die Anwendung der therapeutischen Methode eine einzige Erfolgsstory. Gelehrt und trainiert wird, fein säuberlich Ziele, Hemmnisse, Prozesse und Aufgaben in unterschiedliche gedankliche Schächtelchen zu sortieren, alle Beteiligte zu motivieren, 'in das Boot zu klettern' und den Aktionsplan gemäß einer vereinbarten Terminplanung zu exekutieren.
Im Gefolge der gruppendynamischen Psycho-Modewelle der siebziger und achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts erinnerten die früheren Beratungen an Experimente mit lebenden Objekten.
Das ist überwiegend Vergangenheit: Heute wird professionelles Coaching- und Moderationstraining auf hohem Niveau angeboten. Für teures Geld natürlich. Coaching und allgemeine Führungsberatung wurde im Laufe der Jahre qualitativ besser und professioneller. Hier wird seitens der Topführung viel investiert.
Wie schaut die erwähnte abgemagerte Methode in ihrem Kern aus? Manager werden auf freundlich und gelassen trainiert. Es geht um Wahrung der Interessen des Unternehmens und keinesfalls um die persönliche Ehre der jeweiligen Führungskraft oder um tiefe menschliche Beziehungen zueinander - wie umständlich und zeitvergeudend.
Die Selbstkontrolle der Emotionen erlaubt, rational die unternehmenseigenen (und persönlichen) Interessen zu sehen und zu vertreten. So entsteht tatsächlich hohe Effizienz in komplexen Organisationen.
Δ
Auftretende Konflikte werden einfacher lösbar. Die mit der theapeutischen Schwundmethode in enge Berührung gekommenen Personen funktionieren wie rundgeschliffene Kugeln im Kugellager: sie garantieren minimalen Reibungswiderstand und einwandfreies Laufen. Diese Methode gehört zum Wirksamsten, das derzeit am Kommunikationssektor für Unternehmen angeboten wird. Persönliche berufliche Probleme werden so in das Privatleben umgeschichtet. Mit langfristigen Rückwirkungen allerdings auf das Arbeitsleben - vielleicht in Form eines Burnout bei Ehrgeizigen.
Wie sehr Gefühle aus der Businesswelt ausgeklammert werden, sieht man in extremen Situationen - zum Beispiel in Kündigungsgesprächen. Auch den abgebrühtesten Führungskräften gehen diese – zumindest anfangs – unter die Haut. Empfohlen wird, das Gespräch mit dem Betroffenen ohne Vorankündigung zu führen. In wenigen, kurzen (und vorbereiteten) Sätzen soll alles vollbracht werden:
„Die Produktlinie ABC wird nicht mehr weiter angeboten. Auch Sie trifft es – Ihr Arbeitsplatz fällt weg. Wir müssen Sie zum 31. August kündigen. Mit dem Betriebsrat wurde eine Sozialplan ausverhandelt. Überdies wird ein Berater beauftragt, Sie in diesem Übergang zu unterstützen.“ Dann heißt es in den Anleitungen: Anschließend wird das Kündigungsschreiben übergeben - ein klassisches Kick out.
Δ
Bitte keinesfalls verbrüdern, beschwichtigen oder schmeicheln. Jedes gefühlsduselige Vorgehen verzögert und verschlimmert - hier auch tatsächlich zu Recht - die Situation für beide Beteiligten. Ebenso sind Appelle, der Betroffene möge es nüchtern und sachlich sehen, so sinnlos, wie der Sonne das Scheinen zu verbieten. Durch Schaden klug geworden empfehlen die Berater dringend, nicht freitags oder unmittelbar vor einem geplanten Urlaub zu kündigen. Denn die, an freien Tagen leicht ausufernden Gefühle führen schnurstracks in vermeidbare Arbeitskämpfe. Aus Schaden klug geworden, weiß man sehr wohl, wie bedeutsam Gefühle werden können!
Reinhard Neumeier, Juni 2009