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Im letzten halben Jahrhundert haben Universitäten und Hochschulen einen beispiellosen Aufschwung erlebt.

Möglichst viele wollen einen akademischen Abschluss erwerben. Finanzielle Mittel wurden nicht entsprechend gesteigert. 

 

 

Ökonomische Maßnahmen, die darauf abzielen, den Massenansturm zu bewältigen, führen aber zu Folgen wie

  1. ... einem Erschweren des Zugangs. Dadurch werden oft potenziell geeignete Studienbewerber ausgeschlossen. In den Eingangsphasen werden regelmäßig Massenprüfungen mittels Multiple-Choice-Fragebogen durchgeführt. Klar, diese sind computergestützt einfach auszuwerten. Doch sind es gerade diese Umstände, die die Charakteristika des jeweiligen Faches verschleiern und die Studierenden demotivieren.

  2. ... einem abstrakten und formal-nominal orientierten Prozess des Wissenserwerbs und des Prüfens. Dies behindert und beschränkt eine breite Bildung der Studierenden.

  3. ... einem stetig unpersönlicher werdenden Verhältnis von Studierenden und Vortragenden. Der direkt motivierende Zugang zum jeweiligen Fach ist mühsamer geworden.

  4. ... einem Bevorzugen von Lehrenden, die Drittmittel, also externe finanzielle Mittel einwerben. Dadurch kommt es zu einem verzerrten Prozess des Forschens. Selten sind diese Drittmittel philanthropisch, also rein menschenliebend und uneigennützig gedacht. Forschungsziele werden andere, Ergebnisse bilden nur mehr bedingt das Forschungsobjekt ab.

  5. ... einem In-den-Vordergrund-Rücken von schriftlichen Arbeiten, seien es Haus-, Seminar- oder Abschlussarbeiten. Mit wenig Betreuungs- und Begutachtungsaufwand kann so das Denken der Studierenden dokumentiert und überprüft werden. Manchmal können so innerhalb weniger Stunden Diplom- und Masterarbeiten eingesehen und bewertet werden, für die der Studierende zu Hause einen Aufwand von einem halben bis zu einem ganzen Jahr in Vollzeit benötigt hatte.

 

Fast alle genannten Punkte stellen das ursprüngliche Prinzip der universitas auf den Kopf. Universitas ist das wesentliche und namengebende Kennzeichen der europäischen Uni-Gründungen ab dem 12. Jahrhundert. Das Prinzip verweist auf die Einheit von Wissenserwerb und Wissensweitergabe unter Lehrenden und Lernenden.

 

Es geht um gegenseitigen Schutz und Hilfe innerhalb eines eigenen Rechtsbereiches. Für diesen wechselseitige Schutz auf Augenhöhe ("wir sind eins") ist es unerheblich, ob die Treffen innerhalb eines Gebäudes oder eines Campus oder in den Privaträumen der Gelehrten geschehen, wie häufig im Mittelalter der Fall ist. Magistri und Studiosi bilden als überschaubare Gruppe eine auf Autonomie gerichtete Genossenschaft.1

 

Die heutige Universität ist eine andere geworden. Sie hat zu erheblichen Teilen das Prinzip der universitas ausgelagert.

Aus persönlicher und sprachlich kommunikativer Nähe und Interaktionen aller Beteiligten wird ein isoliert ausgetragener K(r)ampf der Studierenden auf Basis gedruckter Schriften und Bildschirme.

 

Die kollektiven Akteure in den heutigen Universitäten sollten sich warm anziehen,
denn die textgenerierende KI
wird diese Auslagerung ad absurdum führen. 

 

23. Dezember 2023

 

1 Borgolte, Michael (2015). Sozialformen wissenschaftlicher Autonomie im Mittelalter – und darüber hinaus. In: Autonomien der Wissenschaft? : Streitgespräche in der Wissenschaftlichen Sitzung der Versammlung der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften am 28. November 2014. Berlin, S. 12-20